Afghanistan

Die Schule in Afghanistan ist nicht wie hier. Am Schluss vom Jahr gibt es einen großen Test. In Deutschland gibt es viele kleine Tests, wo wir ein bisschen was wissen müssen. In Afghanistan müssen wir am Schluss vom Jahr einen großen Test machen, da müssen wir alles vom ganzen Schuljahr wissen. Wir müssen alles wissen, was in einem großen Buch steht. Da muss man sehr viel lernen.

Und es gibt Koranschulen. Die sind in der Moschee. Da lernen wir den Koran und wann man welches Gebet zu Allah sprechen soll. Den Koran müssen wir auswendig kennen. Zu Allah sprechen wir Arabisch, das geht nicht auf Persisch.

In den Schulen in Afghanistan ist alles kaputt. Es gibt keine Tische, keine Tafel, keine Stühle. Es gibt nix. Die Taliban machen alles kaputt.

In der Schule ist ein Brunnen, da schmeißen sie Tabletten rein und wenn man trinkt, dann stirbt man. Viele Leute sind gestorben. Ich habe auch getrunken, aber nur wenig und ich habe nur Kopfweh und es tut weh im Hals. Ich habe mein Trinken dann mit einer Flasche mitgenommen.

Einmal gehe ich in die Schule und sehe: oh, meine Schule ist kaputt und meine Lehrerin ist tot. Ich gehe wieder nach Hause. Mein Vater sagt:

— Wieso bist du schon da? Ich sage:

— Meine Schule ist kaputt und meine Lehrerin ist tot.

Die Mädchen müssen zu Hause bleiben, die dürfen gar nichts. Sie kochen und putzen.

In Afghanistan dürfen die Mädchen nicht in die Schule gehen. Nur die Jungen. Ein paar Mädchen gehen doch. Wenn die Schule aus ist warten Taliban auf die Mädchen. Die Mädchen kommen aus der Schule, ganz normal, so wie man eben aus der Schule kommt. Und draußen warten drei Männer und sie schütten den Mädchen Säure ins Gesicht und die Gesichter von den Mädchen sind verbrannt. Für immer.

Ein Mädchen und ein Junge sind nicht verheiratet und gehen auf der Strasse. Es ist nix, sie gehen nur auf der Strasse. Und die Taliban denken, die sind verliebt wie Laila Majnu, der indische Film. Und sie sagen:

— Hast du dieses Mädchen gefickt?

Der Junge sagt nein, er geht nur mit ihr auf der Strasse herum. Da nehmen die Messer und machen Schlägerei und fragen noch mal, bis der Junge sagt: Ja, er hat Liebe gemacht mit diesem Mädchen.

Die Taliban sagen:

— Das ist nicht gut, warte, komm her.

Und dann kommt der Junge und das Mädchen in ein Loch in der Erde, nur bis zum Bauch. Und außen stehen die Männer und werfen mit Steinen drauf. Bumm, bis sie tot sind. Das habe ich gesehen. Das war ein ganz normaler Junge, wie ich, wie jeder.

Die wollen alles tot machen, was nicht so ist wie die.

Man weiß nicht, was passiert, wenn man rausgeht. Es kommen Leute, die haben eine Bombe unter dem Kleid, die sieht man nicht, und auf einmal explodiert die Bombe und 200 Menschen sind tot.

Einmal bin ich auf dem Markt mit meinem Vater, Tee und Essen einkaufen. Und dann kommt ein Junge mit Sprengstoff und macht bumm. Ich habe es gesehen. Ich habe sein Blut auf meinem T-Shirt. Stell dir vor, du gehst hier raus und es kommt ein Typ und macht bumm. Das ist nicht so gut.

Und auf der Strasse liegen dann die Hände oder ein Fuß und Arme oder so. Teile vom Körper liegen auf der Strasse.

Ich bin weg gegangen und ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.

Das passiert jeden Tag, immer, ganz egal. Man erkennt die Leute nicht. Die Leute haben die Bombe unter ihrem Kleid und du siehst sie nicht. Es kann jeder sein. Du gehst mit deiner Familie oder deinen Freunden raus und man weiß nie, ob man wieder kommt. Kidnapping. Bomben. Du weißt nicht, was passiert. Man weiß nicht in welcher Strasse man gehen soll und in welcher Stadt man leben soll. Überall ist die gleiche Scheiße. Man weiß gar nichts.

Es ist egal, ob du arm bist oder reich. Wenn du arm bist stirbst du, weil du kein Geld hast. Wenn du reich bist stirbst du, weil du Geld hast.

Das ist ein Video aus Kandahar. Einer von uns kommt aus Kandahar. Aber so ist es überall in Afghanistan. Vielleicht ist das Video nicht gut für junge Leute in Deutschland. In Afghanistan ist das normal, auch für die Kinder, weil in Afghanistan ist das kein Film sondern echt und die Leute hier sollen das sehen. Damit sie wissen, wir sind nicht zum Spaß hier.

Jetzt sind die Taliban weniger. Aber man weiß nie, ob sie wirklich weg sind und im April waren 5 oder 6 Explosionen. Und wenn es nicht die Taliban sind, dann sind es andere Kriminelle.

Jedes Mal, wenn ich über mein Land spreche, tut mein Kopf weh.

Wenn ich jetzt in der Schule bin, ist es gut. Aber wenn ich schlafe, habe ich Angst. Ich träume von Bomben oder von anderer Scheiße. Und dann kann ich nicht schlafen. In der Nacht schlafe ich manchmal nicht bis vier oder fünf Uhr. Dann hör ich Musik oder gehe Facebook oder so. Ich bin müde. Ich rede mit den Betreuern. In den letzten Monaten war es nicht gut. Aber diesen Monat ist es besser.

Die Bulgarische Polizei

Elena und Aleko sind Polizisten. Sie treffen sich in der Mitte der Bühne. Polizistengruß.

ELENA Guten Morgen.

ALEKO Guten Morgen.

ELENA Wie geht’s?

ALEKO Gut. Und dir?

ELENA Auch gut.

ALEKO In welcher Patrouille bist du?

ELENA Patrouille 8. Und du?

ALEKO 3.

ELENA Patrouille 3 ist sehr gut.

Kiril kommt angefahren. Der Motor heult. Aleko und Elena schauen sich an. Elena hält Kiril an. Kiril bremst. Reifen quietschen. Elena und Aleko mustern das Auto. Kiril verzieht keine Miene. Elena klopft ans Fenster. Kiril lässt die Scheibe herunter (elektrisch).

ALEKO Guten Tag. Sie fahren zu schnell.

Kiril zückt Geldscheine. Aleko & Elena schauen sich an. Aleko schaut genauer ins Auto.

ALEKO Sie fahren ohne Gurt.

Kiril zückt Geldscheine. Aleko & Elena schauen sich an. Aleko steckt den Kopf ins Auto und schnüffelt.

ALEKO Haben Sie Alkohol getrunken?

Kiril zückt Geldscheine. Aleko & Elena schauen sich an. Aleko und Elena gehen ums Auto.

ALEKO Ihr Auto ist gestohlen.

Kiril zückt Geldscheine. Aleko & Elena schauen sich an.

ELENA Öffnen Sie bitte den Kofferraum.

Kiril öffnet den Kofferraumdeckel (elektrisch). Elena schaut hinein und erschrickt.

ELENA Oh Gott!!!

Aleko kommt und schaut auch.

ALEKO Oh Gott!!!

ELENA Steigen Sie bitte aus.

Kiril steigt aus. Elena zeigt in den Kofferraum.

ELENA Was ist das?

KIRIL Das ist nix.

Er schließt den Kofferraumdeckel und zückt eine Waffe. Aleko und Elena weichen zurück und lachen freundlich.

ALEKO Einigen wir uns auf »betrunken«!

Kiril steckt die Waffe weg und gibt den beiden Geld.

ELENA/ALEKO Vielen Dank! Auf Wiedersehen!

Kiril steigt ein, startet den Motor und fährt weg. Heulender Motor, quietschende Reifen.

ALEKO Ein netter Mensch!

ELENA Ja! Ein sehr netter Mensch!

Die Reise nach Deutschland

Landkarte zu »Gespielte Sprache«

Ich hab das Flugzeug genommen bis Istanbul und dann weiter mit einem Mann im Auto. Ich habe gefragt:

— In welches Land komme ich?

Der Mann sagt:

— Das geht dich nichts an, halt die Klappe.

Der Weg ist Scheiße.

Im Auto waren 11 oder 12 Leute, fünf Stunden Auto. Dann weiter in einem Pick-Up, hinten, unter einer Plane, und die Füße von den anderen in den Knien und im Hals. Über uns ist Plastik und es war heiß. Richtig heiß. Die Straße ist schlecht und 20 Minuten macht es bumm bumm bumm. Meine Schulter tut weh, mein Kopf tut weh, alles tut weh.

Dann sind wir in den Wald gegangen. Der Mann sagt:

— Bis Abend warten wir hier.

Also haben wir gewartet. Da war ein Fluss. Und plötzlich ist da die türkische Polizei.

Der Mann sagt:

— Geh in den Fluss. Geh, geh schnell.

Wir gehen ins Wasser. Ich habe meine Tasche vergessen mit Essen und Wasser. Ich gehe zurück und hole sie.

Der Mann sagt:

— Geh schnell.

Wir sind im Wasser und die Polizei richtet die Waffen auf uns, und die Leute haben Angst und die Polizei sagt:

— Komm, komm.

Aber wenn du kommst, schlagen sie dich und du musst zurück in dein Land. Die Polizei darf nicht in den Fluss, weil der Fluss ist die Grenze zu Griechenland und Türkei.

Am Abend sind wir weiter mit einem Boot. Überall diese kleinen Tiere, die haben uns tot gemacht, die kommen von überall, die kommen und fressen.

Dann kommt ein neuer Mann. Der andere ist zurück gegangen. Es ist Nacht und du kannst nicht gut sehen.

Der Mann sagt:

— Geh, geh schnell.

Und wenn du langsam bist schlägt er dich. Egal, ob Frau oder Kind. Du musst gehen. Wenn du nicht mehr kannst, ist das dein Problem. Du musst gehen oder du bleibst da und stirbst. Eine Frau ist ein bisschen dick und kann nicht gut laufen. Sie hält immer meine Hand und manchmal trage ich sie. Wir kommen zur Autobahn. Da ist ein Gitter, das ist zwei Meter hoch. Alle müssen drüber klettern und der Mann sagt:

— Schnell!

Die dicke Frau kann oben nicht weiter. Sie hat Angst und sagt

:

— Geht nicht.

Der Mann stößt sie und sie ist einfach gefallen, zwei Meter. Mit dem Gesicht in den Dreck.

Wir liegen im Dunkel und die Autos neben uns fahren schnell.

Ein Auto kommt, der Mann sagt:

— Schnell, geh rein.

Ich will meine Tasche in den Kofferraum tun, aber sie haben mich genommen und in den Kofferraum geschmissen. Mich und noch einen. Und dann die Klappe zu. Das Auto war schnell, total schnell und mein Fuß tut weh, scheiße, mein Fuß tut weh, ich habe gesagt, mein Fuß funktioniert nicht mehr.

Dann gehen wir zu Fuß. In der Nacht gehen, am Tag schlafen. Kein Essen, nur Wasser, drei Tage lang. Der Mann ist scheiße. Ich brauche Wasser und Essen. Der Mann sagt:

— Arschloch.

Ich habe Hunger. Ich telefoniere mit meinem Papa. Der Mann sieht es und sagt:

— Hey, Junge, Scheiße, komm her.

Ich sage:

— Warte kurz, ich telefonier mit meinem Papa.

Er sagt:

— Komm her, ich habe Essen für dich.

Und er schlägt meinen Kopf, nimmt mein Telefon und wirft es auf den Boden. Das Telefon ist kaputt.

In Griechenland sind wir in einem Haus in einem Dorf und sie sagen:

— Ruf deine Familie an, damit sie Geld schicken. Du musst Geld geben, dann gehst du nach Athen.

Sie haben uns Essen gegeben und in dem Haus gibt es eine Toilette, eine Scheißtoilette.

Dann sagt der Mann:

— Das Geld ist okay, du kannst gehen.

Wir sind nach Athen. Wieder in ein Haus. Da war ich drei Monate und warte auf den Pass. Dann haben sie mir einen italienischen Pass gegeben und gesagt:

— Du gehst.

Ein Mann sagt mir wie das geht mit Boarding. Ich habe gemacht, was er sagt. Am Flughafen habe ich das Ticket und den Pass gezeigt.

Eine Frau sagt:

— Das ist okay.

Und dann Deutschland. Deutschland, uhh, das ist anders wie Griechenland. In Deutschland kommt ein Polizist. Ich zeige den Pass und er fragt mich auf italienisch, aber ich kann kein Italienisch. Dann kommt einer und sagt:

— Ich bin dein Vormund.

Ich denke:

— Vormund, das ist was zu essen.

Er sagt:

— Nein, ich bin so was wie deine Mama.

Ich sage:

— Ich brauche keine Mama, ich habe eine Mama.

Ich habe einen Onkel in Aachen. Aber Aachen ist nicht Oberbayern und ich kann ihn nicht sehen, weil ich nicht weg darf. Wenn ich weg will muss ich fragen. Einmal ist mein Onkel nach München gekommen. Ich habe zum Betreuer gesagt:

— Ich muss zum Hauptbahnhof, meinen Onkel abholen.

Der Betreuer sagt:

— Du warst gestern in München, heute darfst du nicht weg. Ich sage:

— Mein Onkel kommt.

Der Betreuer sagt:

— Nein. Wenn du gehst, kriegst du roten Punkt. Ich sage:

— Scheißroter Punkt ist mir egal, mein Onkel fährt lange! Lange! Und keiner holt ihn ab? Was ist das für Gastfreundschaft!?!

Und ich gehe Bahnhof.

Ich will nicht fragen, ob ich meinen Onkel abholen darf, wenn er mich besucht. Ohne Familie ist scheiße. Ich bin 15 Jahre. Normalerweise bist du mit 15 bei Mama, Papa und Geschwister. Gut, man kann das machen für ein Jahr, für zwei Jahre. Aber ich kann nicht zurück. Wenn ich zurück komme, kriegt meine Familie Probleme. Also wie lange bin ich ohne Familie?

Ich glaube, wenn ich einen deutschen Pass habe, dann kann ich meine Eltern holen. Das hab ich mal gehört, aber ich weiß nicht, ob das stimmt.

Heute scheint die Sonne. Ich glaube, das ist gut für die Haut. Seit ich in Deutschland bin gehen mir die Haare aus, wie bei einem alten Mann. Gibt es hier einen Doktor für Haare?